Es ist nicht so, dass Krypto langweilig geworden ist, sondern dass du endlich die Spielregeln verstanden hast.

Autor: Christian Catalini

Übersetzung: TechFlow

Originaltitel: Wenn du denkst, dass Krypto „langweilig“ wird, hast du das Endspiel des Spiels verstanden

Bild: Alex Blania und Sam Altman auf der „World Unwrapped“-Veranstaltung am 11. Dezember 2025 in San Francisco

Christian Catalini

Wenn du den Kryptobereich schon eine Weile beobachtest, hast du vielleicht bemerkt, dass sich in letzter Zeit alles zu beschleunigen scheint. Normalerweise bedeutet das „die Zahlen steigen“, aber diesmal ist der Antrieb nicht der Bullenmarkt oder ein technologischer Durchbruch im Krypto-Bereich, sondern die Tatsache, dass die Regeln endlich klar definiert werden.

Mit der schrittweisen Einführung der Stablecoin-Regulierung wurde die „Handbremse“ der Branche endlich gelöst. Projekte beschleunigen den Übergang von „für Krypto-Insider“ hin zu wirklich massentauglichen Produkten. Schließlich kann man sich viel mutiger auf den Aufbau echter Geschäftsmodelle konzentrieren, wenn man nicht ständig befürchten muss, gegen Gesetze zu verstoßen.

Es zeigt sich: Wenn die grundlegenden Bausteine vorhanden sind – wenn Stablecoins nicht mehr eine ständige existenzielle Bedrohung, sondern ein reguliertes Geschäft sind – dann ändert sich auch die Definition von „großen Ambitionen“.

Man versucht nicht mehr, das Konzept von Geld neu zu erfinden, sondern konzentriert sich darauf, wirklich nützliche Produkte zu bauen. Die „letzte Meile“-Hindernisse, die die Blockchain-Entwicklung bisher eingeschränkt haben, verschwinden allmählich – hauptsächlich, weil dezentrale Netzwerke endlich beginnen, die offensichtlichen, ja fast langweiligen Dinge zu tun: Sie erkennen eine der derzeit nützlichsten Funktionen der Blockchain an – zumindest im aktuellen Stadium – nämlich die Verbindung mit der Visa-Karte.

Anonymitätslücke

Zahlungen sind die Basisschicht, die Krypto zuerst durchbrechen muss. Zahlungen sind die grundlegende primitive Funktion für alles andere. Satoshi Nakamoto hat für das elektronische Geldsystem fast alle notwendigen Elemente bereitgestellt: einen digitalen Vermögenswert, ein globales Hauptbuch und einen Anreizmechanismus, der das System am Laufen hält. Aber um Zahlungen sicher zu skalieren, ist Authentifizierung unerlässlich. Das liegt daran, dass moderne Währungen nicht nur ein Maßstab für Wert sind, sondern auch ein Träger für zu überprüfende Absichten.

Bitcoin hat das Double-Spending-Problem elegant gelöst und sichergestellt, dass digitales Geld nicht einfach kopiert werden kann, aber das Problem der Identitätsauthentifizierung wurde nicht gelöst. Obwohl manche Anonymität als Feature betrachten, ist sie für die globale Verbreitung tatsächlich ein großes Problem. Während der Entwicklung von Libra wurde mir das sehr deutlich. Die erste Kompromissentscheidung, die wir treffen mussten, war der Verzicht auf non-custodial wallets: Obwohl wir viele clevere Wege zur Sicherung entworfen hatten, forderten die Regulierungsbehörden von Anfang an, dass wir eine sichere und kontrollierte Grenze schaffen. Die Gesellschaft legt großen Wert darauf, dass das Finanzsystem keine illegalen Aktivitäten unterstützt, und wenn dein permissionless protocol versehentlich Terrorismus finanziert, wird die Gesellschaft dir letztlich die Erlaubnis entziehen.

Stablecoin-Sandwich-Phänomen

Der aktuelle Zustand von Krypto ist ein Paradebeispiel für eine „infrastructure inversion“. Theoretisch werden wir irgendwann fortschrittliche zero-knowledge proofs und onchain attestations haben, die Privatsphäre und Compliance perfekt ausbalancieren. In der Realität jedoch fügen wir neue Technologien auf die langweiligste Weise an alte Technologien an.

Ein Beispiel ist das „Stablecoin Sandwich“. Dies ist ein Begriff aus der Branche und bezeichnet den Prozess, bei dem Fiat-Geld in Stablecoins umgewandelt, über das Blockchain-Netzwerk übertragen und am anderen Ende wieder in Fiat-Geld getauscht wird, um zwei ansonsten getrennte Echtzeit-Zahlungssysteme zu verbinden. Das funktioniert tatsächlich, aber die Art und Weise, wie es skaliert, ist ironisch. Es hängt nicht von der Offenheit des Krypto-Netzwerks ab. Unternehmen verbinden sich nicht direkt mit dem permissionless Netzwerk, weil das zusätzlichen Aufwand bedeutet. Stattdessen beauftragen sie in der Regel einen Koordinationsdienstleister, der die Compliance-Prüfung übernimmt und mit der Blockchain interagiert.

Dieser Zustand ist weit entfernt von der Vision, das eigene Schicksal zu kontrollieren, und bringt die Mittelsmänner wieder ins Zentrum. Tatsächlich hat die Blockchain das Abwicklungsproblem – also den Werttransfer – gelöst, aber das Informationsproblem ignoriert. Im traditionellen Finanzsystem ist jede Zahlung mit relevanten Daten verbunden: Wer hat die Zahlung initiiert, was ist der Zweck und steht der Zahler auf einer Sanktionsliste? Wenn diese Informationen nicht übermittelt werden, ist es egal, wie schnell die Zahlung abgewickelt wird, denn die Bank des Empfängers wird die Transaktion aus rechtlichen Gründen trotzdem ablehnen.

Menschliche Währung?

Wie sieht also die Zukunft aus? Die gestrige „Yesterday’s World“-Veranstaltung (ehemals Worldcoin) in San Francisco lieferte eine mögliche Antwort – und diese Antwort hat mit einer verchromten Kugel zu tun. Auf der Veranstaltung erinnerten sich Alex Blania und Sam Altman an die Zeit, als es noch nicht offensichtlich war, dass KI das Internet verschlingen würde. Für sie war jedoch klar: Die Fähigkeit, einen Menschen von einem Roboter zu unterscheiden, wird zur wertvollsten Ressource der Welt. Dieses Streben nach „Proof of Personhood“ veranlasste Blania, ein maßgeschneidertes Hardware-Netzwerk zu bauen, das überprüft, ob ein Nutzer tatsächlich ein biologisches Wesen ist.

Nach sechs Jahren Entwicklung wird das einst unbeholfen wirkende futuristische Experiment – „jedem die Iris scannen“ – allmählich vom Gimmick zum praktischen Nutzen. Sam Altman zitierte Paul Buchheit, der es treffend auf den Punkt brachte: „Die Zukunft könnte zwei Währungen brauchen: Maschinenwährung und Menschenwährung.“ Es zeigt sich, dass „Proof of Personhood“ im Zeitalter der KI eine Compliance-Funktion ist. Um Zahlungen zu skalieren, braucht man diese Technologie, um wohlwollende von böswilligen Akteuren zu unterscheiden; und in einer Welt voller unendlicher synthetischer Inhalte braucht man sie, um das einzig wirklich knappe Gut zu beweisen: dass etwas tatsächlich von einem Menschen geschaffen wurde.

Jahrelang war der Traum von Krypto, eine globale Version von Venmo auf Basis von Kryptografie zu bauen. Auf der gestrigen „World“-Veranstaltung (ehemals Worldcoin) wurde eine Wallet vorgestellt, die dieses Ziel im Wesentlichen erreicht. Obwohl die zugrunde liegende Infrastruktur der traditionellen Fintech-Architektur ähnelt, haben sie durch die Integration von virtuellen Bankkonten aus 18 Ländern, einer Visa-Karte und lokalen Zahlungsnetzwerken die Kluft zwischen Krypto und Realität überbrückt. Es zeigt sich, dass Nutzer für den globalen Geldfluss nicht wirklich ein neues Token wollen, sondern eine einfache Lösung, um ihr Gehalt einzuzahlen und mit Visa zu bezahlen. Und der Weg, Nutzer zu gewinnen, ist das klassische Tech-Wachstumsmodell: World erhebt für die meisten Dienste keine Gebühren.

Teilweise liegt das daran, dass Banken Gebühren erheben müssen, um Miete zu kassieren, während World das nicht muss. Wichtiger ist jedoch, dass das Kernmodell darauf basiert, dass Geldflüsse eigentlich kostengünstig sein sollten. Für Banken kann eine Überweisung eine „diplomatische Mission“ durch drei Korrespondenzbanken und ein Faxgerät erfordern; für die Blockchain ist es nur ein Update im Hauptbuch. World setzt darauf, dass die tatsächlichen Kosten des Geldflusses gegen Null tendieren werden.

App-Store-Arbitrage

Innovation beschränkt sich nicht nur auf den Zahlungsbereich, sondern breitet sich weiter aus. Bereits 2024 habe ich vorhergesagt, dass „Mini Apps“ zur „Killer App“ im Kryptobereich werden könnten. Die Vorhersage war, dass sie bei ihrem ersten Auftritt „unbeholfen, nischig und sogar wie Spielzeug“ wirken könnten. Das klingt belanglos, ja sogar langweilig, aber die Auswirkungen auf die Marktstruktur sind tiefgreifend. Der Sinn von Mini Apps ist nicht nur, einen Taschenrechner in deinen X-Feed (Anmerkung: neuer Name für Twitter) einzubetten, sondern Entwicklern zu ermöglichen, Software ohne App-Store-Genehmigung und ohne bis zu 30 % Gebühren zu verteilen. Es zeigt sich, dass die Flucht aus dem „walled garden“ nur ein anderer Ausdruck dafür ist, dass Entwickler ihr Einkommen behalten wollen. Die wertvollste Funktion, die ein neues Ökosystem Entwicklern bieten kann, ist, sie bei der Zahlungsabwicklung von der „Landlord“-Gebühr zu befreien.

Die Kombination von Mini Apps und starker Authentifizierung bietet Entwicklern eine Reihe neuer Basisfunktionen und signalisiert gleichzeitig einen Strategiewechsel bei World. Früher war die Strategie von World härter – „entweder Iris-Scan oder raus“, was offensichtlich zu dogmatisch war. Jetzt bietet World gestufte Dienste an und macht die verifizierte „menschliche Identität“ zu einer Premium-Funktion. Dieser Marktmechanismus ist viel vernünftiger. Nutzer könnten zögern, ihre biometrischen Daten für einen abstrakten zukünftigen Nutzen zu scannen, aber wenn sie dadurch höhere Renditen oder ein interessanteres Erlebnis erhalten, machen sie wahrscheinlich gerne mit. Das Team zeigte zum Beispiel, wie japanische Tinder-Nutzer World ID zur Identitätsprüfung verwenden. Es zeigt sich, dass die „Killer App“ für souveräne Identität darin bestehen könnte, dem Date zu beweisen, dass man kein Roboter ist. Wenn du glaubst, dass Nutzer ihre biometrischen Daten nicht für Bequemlichkeit hergeben würden, frag mal diejenigen, die bereit sind, ihre Augen zu scannen, um die Warteschlange bei der Sicherheitskontrolle am Flughafen San Francisco (SFO) zu überspringen.

Jenseits der Aufzeichnung

Blania versteht offensichtlich das Plattform-Paradoxon: Du willst, dass die besten Online-Marktplätze, sozialen Netzwerke, Chatbots und Finanzdienste World ID als Basisfunktion nutzen, aber bevor du genug Nutzer hast, werden sie es nicht übernehmen. Und ohne Produkt kannst du keine Nutzer gewinnen. Deshalb musst du selbst Produkte bauen, um Nutzer zu gewinnen.

Das erklärt auch Worlds Engagement im Zahlungsbereich und die Expansion in den Messaging-Bereich. World arbeitet mit Shane Macs Team zusammen, um das dezentrale Messaging-Protokoll XMTP direkt in die App zu integrieren. Im Vergleich zu zentralisierten Alternativen wie Signal, WhatsApp oder Telegram bietet diese Methode erhebliche Datenschutzvorteile. Es zeigt sich: Wenn du die unsichtbare Identitätsschicht des Internets werden willst, musst du vielleicht zuerst ein besseres Messaging-Produkt bauen, um deine Fähigkeiten zu demonstrieren.

Vor der Veranstaltung zeigte mir Shane Mac sein neuestes Experiment – Convos. Diese App basiert ebenfalls auf XMTP und zeigt, dass die Interoperabilität von Kryptotechnologie nicht auf Finanzdienstleistungen beschränkt ist, sondern auch auf alltägliche Kommunikationsmittel ausgeweitet werden kann. Convos nutzt Kryptografie, um eine Nutzung ohne Registrierung, Telefonnummer, Verlauf oder Tracking zu ermöglichen. Und das alles ohne zentralisierte Server.

Das Verkaufsargument hier ist, dass dies vielleicht die erste wirklich „spurenlose“ Messaging-App ist. In einer Welt, in der jede Slack-Nachricht und jede E-Mail für immer gespeichert wird, wird das wirklich vergängliche Gespräch zum ultimativen Luxus. Ich denke, die ersten Nutzer werden investigative Journalisten sein, aber die größere Vision ist, private Gespräche wieder zur Standardeinstellung menschlicher Interaktion zu machen – und nicht zu einer verdächtigen Ausnahme.

Insgesamt befinden sich diese Experimente zwar noch in einem frühen Stadium, aber der Entwicklungspfad ist bereits klar erkennbar. Die Infrastruktur der Kryptotechnologie beginnt endlich, die ursprünglichen Versprechen einzulösen. Alles, was sich Krypto-Enthusiasten vor zehn Jahren vorgestellt haben, wird langsam „langweilig“ genug, um praktisch zu sein – und das geschieht genau zum richtigen Zeitpunkt. Mit der beschleunigten Entwicklung von KI ist die Fähigkeit, Wahrheit kryptografisch zu verifizieren, nicht mehr nur eine philosophische Leidenschaft der Cypherpunks, sondern eine unverzichtbare Infrastruktur für die gesamte digitale Wirtschaft.